TransInfo

Quelle: Adobestock / Wellnhofer Designs

KEP zwischen Empfängeranforderungen und Produktivität

Die wirtschaftliche Lage, die steigenden Anforderungen seitens der Empfänger:innen, der zusätzliche Wettbewerbsdruck durch Amazon und radikal user-zentrierte Start-ups setzen die ohnehin margengeschwächte KEP-Branche zunehmend unter Druck. Die Herausforderung besteht darin, diese Anforderungen zu erfüllen und gleichzeitig die Produktivität zu steigern. Wie kann dies erreicht werden?

Lesezeit 8 Min.

Mit dem Rückzug des Versanddienst Instabox aus dem deutschen Markt im Oktober 2023 rollt die Welle an Misserfolgen in der Zustellbranche weiter. Der Exit von instabox folgt auf den Zusammenschluss von Instabox und Budbee im Jahr 2022 sowie auf die Neuausrichtung der Lieferzonen des fusionierten Unternehmens Instabee. Wie schwierig das Geschäft für komplette Neueinsteiger sein kann, zeigen die Insolvenzen von Start-ups wie Arive, Dropp, Boxbote usw. im vergangenen Jahr, allen voran jene aus der Lebensmittelzustellung. Nicht zuletzt die gestiegenen Zinsen hat die Investitionsbereitschaft der Geldgeber:innen in jüngster Zeit gemindert. Das aktuelle Startup-Barometer von EY besagt, dass im Vergleich zum Vorjahr das Gesamtvolumen der Investitionen im ersten Halbjahr 2023 deutlich gesunken ist. Außerdem gab es weniger Deals. Für kapitalintensive Zustell-Start-ups, die komplexe operative Betriebe aufbauen müssen, ist die Lage also schwierig.

Hinzu kommt: Die allgemeine wirtschaftliche Lage und die gestiegenen Verbraucherpreise haben die Kauflust seitens der Konsument:innen in den vergangenen anderthalb Jahren stark gedrückt. Vor diesem Hintergrund müssen auch die etablierten Paketzusteller die Produktivität sicherstellen. Zugleich drängen weitere Player auf den Markt. In den USA ist es vor allem der Mobilitätsanbieter Uber, der im September 2023 gemeinsam mit dem Cloud-Anbieter Oracle ankündigte, in die Paketzustellung einzusteigen. Die gemeinsame Lösung verspricht, Einzelhändler:innen nahtlos mit Uber Direct zu verbinden, dem White-Label-Lieferservice des Unternehmens. Über Uber Direct können Händler:innen u.a. verschiedene Lieferoptionen anbieten, beispielsweise Lieferungen am selben Tag und nach Plan, bequeme Abholung von Bestellungen und problemlose Rücksendungen an den nächsten Einzelhandels- oder Poststandort. Im Oktober 2023 – und rechtzeitig zur vorweihnachtlichen Hochsaison für die Paketzustellung – stellte Uber nun seine neueste Dienstleistung vor: ein Retourenservice für Pakete von den Empfänger:innen zur Postannahmestelle. Was zunächst nur für den nordamerikanischen Markt gilt, führt Uber hierzulande bereits im kleinen Stil aus. Für den Medikamentenlieferdienst Mayd übernehmen Uber-Fahrer:innen bereits Kurierfahrten und mit Uber Eats ist das US-amerikanische Unternehmen schon in die Lieferdienstbranche eingestiegen. Der berühmte Knopfdruck, also die Benutzerfreundlichkeit der Plattform, überzeugt viele Kund:innen. Und so müssen sich in Deutschland etablierte Zustellunternehmen künftig noch stärker überlegen, wie sie die User Experience ihrer Dienstleistungen verbessern können.

Unversehrtes Paket reicht nicht – Empfänger:innen erwarten heute mehr

Wie eingangs erwähnt, ist der Boom der Lebensmittelliefer-Start-ups vorbei. Was jedoch geblieben ist, dass der Quick Commerce den Anspruch der Konsument:innen an Zustellunternehmen im Allgemeinen verändert hat. Auch wenn die Logistikprozesse der beiden Sparten sich stark unterscheiden: In der Wahrnehmung der Konsument:innen wird nicht mehr zwischen der Lebensmittel- und der klassischen Paketzustellung unterschieden.

Das zeigt eine aktuelle Befragung durch Bettermile, Anbieter einer KI-basierten Software für die Paketzustellung auf der letzten Meile. So erwarten 64 Prozent der über 1.300 befragten Paketempfänger:innen standardmäßig eine Echtzeitverfolgung bei der Paketzustellung – eben jenen Service, den Uber in seiner jüngsten Produktankündigung so stark bewirbt. Und mehr als die Hälfte der Empfänger:innen legen bei der Auswahl der Versandart Wert darauf, dass die Echtzeitverfolgung ihrer Bestellung verfügbar ist. Das entspricht einer Steigerung von 12 Prozent gegenüber dem Vorjahresergebnis. Auch ist für 69 Prozent der Befragten das persönliche in Empfang nehmen des Pakets ein emotionaler Moment. Die ungeplante Zustellung des Pakets in Paketshops oder beim Nachbarn ist hingegen unerwünscht.

Zusätzlich hat Bettermile die Leistungen von verschiedenen Paketzusteller untersucht. Dabei hat sich gezeigt, dass die Newcomer im Bereich Paket in puncto Echtzeitverfolgung tatsächlich schlechter abschneiden als die großen Player, wie beispielsweise GLS. Auch wenn sie behaupten, radikal user-zentriert zu sein, müssen einige Start-ups also nachbessern.

Tech als strategischer Hebel

Der Kaufflaute der vergangenen anderthalb Jahre zum Trotz, ist der E-Commerce auf dem Vormarsch und sorgt weiterhin für wachsenden Umsatz bei Paketzustellern. Allerdings ist die Zustellung margenschwach und die User Experience der Paketverfolgung häufig nicht auf dem neuesten Stand, sondern in vielen Fällen statisch und ungenau. Gleiches gilt für die damit verbundene Routenplanung, auch sie ist bei vielen eingesetzten Software-Lösungen statisch. Das bedeutet, es wird bereits am Verteilzentrum die Zustellreihenfolge festgelegt und danach nicht mehr an Einflussfaktoren angepasst. Hierzu zählen unter anderem die Verkehrslage oder das Wissen der Fahrer:innen darüber, wann Kund:innen vor Ort sind. Beim Dynamic Sequencing werden diese Aspekte berücksichtigt. Als Konsequenz wird das Tracking wesentlich präziser und erfüllt damit die gestiegenen Erwartungen der Kund:innen Auch die Produktivität des Zustellunternehmens profitiert. Unter anderem setzt der Paketdienst GLS auf Dynamic Sequencing. Empfänger:innen erhalten über das Echtzeit-Tracking stets aktualisierte Informationen zu ihrer Zustellung und das auf wenige Minuten genau. So wird aus der geschätzten eine präzise Ankunftszeit (engl. ETA für “estimated time of arrival”). Wird diese Technologie weitergedacht, eröffnet sie Zustellunternehmen auch weitere Umsatzmöglichkeiten: wenn Empfänger:innen über bezahlte Optionen selbst Einfluss auf den Zustellzeitpunkt nehmen können. Das steigert nicht nur die Produktivität der Zustellunternehmen, sondern eröffnet auch neue Umsatzmöglichkeiten.


Lesen Sie auch:

Weihnachtsgeschäft: Paketbranche erwartet weniger KEP-Sendungen fürs Fest

In Deutschland könnte der Fahrermangel jährlich um rund 20.000 Fahrer zunehmen


Hohe Datenqualität steigert Prozesseffizienz auf der letzten Meile

Die letzte Meile ist der kostspieligste Abschnitt der Zustelllogistik. Um diese Kosten zu reduzieren, sind effizientere Prozesse in Kombination mit einer höheren Datenqualität der Adressinformationen und der Kartierung ein möglicher Schlüssel. Präzise Geodaten ermöglichen es Disponent:innen, Manager:innen und Fahrer:innen ihre Abläufe zu verbessern. Sie benötigen aktuelle Informationen und eine Echtzeitverfolgung der Fahrer:innen, damit sie die Effizienz überwachen und optimieren können. Die Fahrer:innen müssen in der Lage sein, Pakete ohne langes Suchen zuzustellen. Um ihre Lieferungen zu erleichtern, benötigen sie einen reibungslosen Übergang zwischen den statischen Karten und den Navigationsprodukten sowie den gut definierten, aktuellen und genauen Straßennetzen. Rechtschreibfehler, doppelte Straßennamen oder schwer zu findende Eingänge erschweren die Zustellung und führen schlimmstenfalls dazu, dass das Paket den oder die Empfänger:in nicht erreicht. Darüber hinaus können falsche Geokoordinaten dazu führen, dass die Zustellroute zu einer regelrechten Odyssee wird und die Effizienz der Lieferungen erheblich beeinträchtigen. Zusteller:innen brauchen noch präzisere Adressdaten, um die Zustellung zu beschleunigen. Eine vielversprechende Lösung für diese Probleme bietet die Anwendung von maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz. Smarte Lösungen kombinieren Daten aus vielfältigen Geocoding-Quellen, wie beispielsweise Google, Open Street Maps, HERE Maps, oder what3words. Das erhöht die Datenpräzision, reduziert den täglichen Aufwand der einzelnen Fahrer:innen und steigert zugleich die Erfolgsquote in der Zustellung.

Es sind nicht allein der Wettberwerbsdruck und die gestiegenen Erwartungen durch Empfänger:innen, die der KEP-Branche zusetzen. Auch der Fahrermangel wird zunehmend zum Problem. Eine fahrerlose Zustellung wird zwar immer wieder als mögliche Lösung für die Zukunft ins Spiel gebracht, gleichwohl bleiben viele Ideen wie rohrpostähnliche Systeme, Drohnen oder Roboter weitgehend Gedankenspiele. Die drohnenbasierte Sendungszustellung an Ein- oder Mehrfamilienhäuser in dicht besiedelten Räumen bleibt aus technischen Gründen (enge Häuserschluchten, Oberleitungen usw.) enorm schwierig. Bei der fahrerlosen Variante auf der Straße durch Roboter bleibt es üblicherweise aufgrund technischer Unausgereiftheit oder des Risikos für Diebstahl bei Prototypen für Ballungsräume. Und auch autonome Fahrzeuge sind noch nicht marktreif. Technologien können die fehlenden Fahrer:innen nicht ersetzen. Doch wie oben aufgezeigt, entlasten Technologien wie Dynamic Sequencing, modernes Geocoding oder die KI-basierte Routenoptimierung die bestehenden Mitarbeitenden. Auch ungelernte Arbeitskräfte werden von leicht bedienbarer Technik schneller angelernt.

Fazit

In den letzten fünfzehn Jahren hat das Aufkommen des E-Commerce die Zustellbranche stark verändert. Akteure wie Amazon verfügen über umfangreiche Datensätze die sie gepaart mit Technologie zur Verbesserung nutzen, was etablierte Paketlogistikunternehmen herausfordert. User-zentrierte Start-ups, die während des Corona-Booms in den Markt eintraten, erleben nun in der Rezession, wie ressourcenintensiv die letzte Meile ist. Sie alle eint, dass sie die gesunde Balance zwischen Empfängerorientiertheit und Produktivität finden müssen, um weiterhin im Markt zu bleiben. Technologie bietet hier immense Potenziale und schlägt zwischen beiden Faktoren eine Brücke.

Über Simon Seeger
Simon Seeger ist Gründer und Geschäftsführer von Bettermile, Anbieter einer KI-basierten Software für die Paketzustellung. Er hat selbst in 13 Ländern Pakete zugestellt und es sich 2017 mit der Gründung von Bettermile zur Aufgabe gemacht, die letzte Meile mittels Digitalisierung für alle Beteiligten besser zu gestalten. Bereits mehr als 15.000 Fahrer:innen und über 2 Millionen Empfänger:innen profitieren täglich von seiner Technologie.

Tags