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Quelle: Adobestock / Gina Sanders

DEKRA-Report: Veränderte Mensch-Maschine-Schnittstelle im Auto bringt neue Problemfelder mit sich

Mit der zunehmenden Digitalisierung des Straßenverkehrs steht die Gesellschaft an der Schwelle der wohl größten Mobilitäts-Revolution seit der Erfindung des Automobils. Software und Elektronik übernehmen immer mehr Aufgaben und machen das Auto zur rollenden High-Tech-Maschine. Die Erwartungen an die technologische Entwicklung in Sachen Sicherheit sind enorm. Im gleichen Atemzug werden aber auch Bedenken mit Blick auf potenzielle neue Risiken geäußert. Der Report von DEKRA beleuchtet zahlreiche Problemfelder aus Sicht der Unfallforschung, der Verkehrspsychologie, der Fahrzeugtechnik, der Infrastrukturgestaltung und der Gesetzgebung.

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29.06.2023

Es ist wichtig, das gesamte Mobilitätssystem im Auge zu behalten, ebenso wie die wechselseitige Wirkungsdynamik. Die Rolle des Fahrers wird sich wandeln, und mit ihr das Gesamtsystem der Mensch-Maschine-Schnittstelle im Fahrzeug, betonte Jann Fehlauer, Geschäftsführer der DEKRA Automobil GmbH, bei der Vorstellung des DEKRA Verkehrssicherheitsreports 2023 „Technik und Mensch“ in Berlin.

Abgelenkt, übermüdet, überfordert – die Liste der gängigen Ursachen von Verkehrsunfällen ließe sich beliebig fortsetzen. Oder stark komprimieren: Faktor Mensch. Nach polizeilichen Verkehrsunfallanzeigen der Polizei sind fast alle Verkehrsunfälle mit menschlichem (Fehl-)Verhalten erklärbar. Mängel in Sachen Infrastruktur oder gar Technik werden nur in den seltensten Fällen als ursächlich oder mitursächlich genannt. Die Übertragung möglichst aller Fahraufgaben auf die Fahrzeuge gilt daher für viele als das beste Mittel zur Unfallprävention.

Moderne Assistenzsysteme sind die Grundlage für die zunehmende Automatisierung des Straßenverkehrs und können viele Unfälle verhindern oder zumindest die Unfallfolgen minimieren. Gleichzeitig können automatisierte Fahrfunktionen auch neue Problemfelder mit sich bringen, so Fehlauer.

In Sachen Unfallvermeidung ist mit Blick auf die „Vision Zero“, die viele Staaten der Welt bis zum Jahr 2050 verfolgen, – also das Ziel eines sicheren Straßenverkehrs, in dem es bei Unfällen möglichst keine Getöteten und Schwerverletzten mehr gibt – noch viel zu tun. Das zeigt allein schon ein Blick auf die Entwicklung in der EU. Wie Fehlauer ausführte, reduzierte sich hier zwar die Zahl der Verkehrstoten von 2001 bis 2020 um fast 63,5 Prozent von 51.400 auf 18.800. Allerdings stagnieren die Zahlen seit ungefähr 2012, der historische Tiefstand im Jahr 2020 lässt sich vor allem mit Einflüssen der Pandemie erklären. Seitdem steigen die Zahlen wieder an – auf 19.900 im Jahr 2021 und 22.600 im Jahr 2022. Der prozentuale Rückgang gegenüber 2001 schrumpft damit auf nur noch 56 Prozent. Weltweit schätzt die Weltgesundheitsorganisation WHO die Zahl der jährlichen Verkehrstoten auf aktuell rund 1,3 Millionen.

„Game Changer“ für die Mobilität – aber sicher

Automatisierte Fahrsysteme sind nach Ansicht von Kristian Schmidt, Europäischer Koordinator für Straßenverkehrssicherheit, ein „Game Changer“.

Vernetztes und automatisiertes Fahren hat ein großes Potenzial, die Mobilität sicherer und zugänglicher zu machen, schreibt Schmidt im DEKRA Verkehrssicherheitsreport.

Aus seiner Sicht ergeben sich aber auch neue Herausforderungen – etwa mit Blick auf Cybersicherheit sowie auf den sicheren Betrieb hochautomatisierter Fahrzeuge im Mischverkehr.

Wir müssen sicherstellen, dass automatisierte Fahrzeuge sicher sind, bevor wir sie auf Europas Straßen fahren lassen. Wenn die Typgenehmigung hier scheitert, kann die gesamte Technologie in Misskredit geraten, schreibt Schmidt.

Antonio Avenoso, Geschäftsführer des Europäischen Verkehrssicherheitsrats (ETSC), macht sich in seinem Statement für die EU-weite Meldepflicht von Unfällen mit Beteiligung von Systemen für assistiertes und automatisiertes Fahren stark – ebenso wie für eine zentrale Behörde für die Erfassung der so gesammelten Daten, die Überwachung detaillierter Unfalluntersuchungen und die Aufsicht über die sichere Einführung neuer Technologien.

Falls Computercodes oder Sensoren ein Problem verursachen, das zu einem Unfall beigetragen hat, müssen wir das wissen, damit wir zukünftige Probleme vermeiden können, so Avenoso.

Assistenzsysteme dürfen nicht ablenken oder überfordern

Wie DEKRA Experte Fehlauer in Berlin erläuterte, muss bei aller sinnvollen Technik insbesondere auch immer sichergestellt sein, dass sie den Fahrer nicht ablenkt oder überfordert: „Grundvoraussetzung für den Einsatz von Assistenzsystemen ist, dass sie für alle Nutzer leicht verständlich sind.“ Ihre Bedienung dürfe nicht zu neuen Risiken oder Gefahren führen, mit denen die erzielten Erfolge in der Verkehrssicherheit wieder aufs Spiel gesetzt werden.

Dass diese Gefahr durchaus besteht, zeigen die von DEKRA exklusiv für den Verkehrssicherheitsreport durchgeführte Untersuchungen – eine Studie mit Probanden zu Bedienkonzepten im Fahrzeug sowie eine forsa-Befragung. Die Ergebnisse werden im Report näher vorgestellt. In Fahrversuchen auf dem Gelände des DEKRA Technology Centers am Lausitzring in Brandenburg wurde außerdem der Frage nachgegangen, welche Konsequenzen sogenannte Sensor-Dejustagen auf die Verkehrssicherheit haben können. Mit weiteren Fahrversuchen zeigten die DEKRA Experten, dass das technische Potenzial von Notbremsassistenten in LKW nicht von allen Herstellern ausgeschöpft wird und dass manche Systeme in ihrer Wirkung durch das Verhalten des Fahrers unbeabsichtigt beeinträchtigt werden können.

Verantwortung bleibt beim Menschen

Doch welche Assistenzsysteme in einem Fahrzeug auch immer verbaut sein mögen: Stand heute bleibt die Verantwortung beim Menschen. So müssen die Fahrer jederzeit die volle Aufmerksamkeit auf den Straßenverkehr richten und bei Bedarf eingreifen beziehungsweise die Systeme übersteuern.

Gerade sehr gut und zuverlässig funktionierende Systeme insbesondere etwa in den Bereichen Abstandsregelung und Spurhalten verleiten aber viele Verkehrsteilnehmer dazu, sich auch anderen Aufgaben als dem Fahren zuzuwenden, gab Jann Fehlauer in Berlin zu bedenken.

Mehrere schwere Unfälle seien schon die Folge einer solchen Fehleinschätzung bezüglich der Systemauslegung gewesen. Kritisch könnten solche Systeme auch dann werden, wenn der Fahrer gesundheitliche Probleme bekommt und dies nicht erkannt wird. Mit weiter zunehmendem Automatisierungsgrad gehe zudem die alltägliche Fahrerfahrung zurück.

Sie ist aber gerade in den kritischen Fahrsituationen unabdingbar, in denen ein automatisiertes System wieder an den Fahrer übergibt, so Fehlauer.

Für diese Herausforderung gebe es aktuell noch keine befriedigende Lösung.

Bei allen technischen Weiterentwicklungen im Kraftfahrzeugbereich darf nach Ansicht des DEKRA Automobil Geschäftsführers nie vergessen werden, dass die Akzeptanz und die Beachtung der entsprechenden Verkehrsregeln für jede Art von Verkehrsteilnahme ganz essenzielle Sicherheitsbausteine sind. In jedem Moment erfordere die Teilnahme am Straßenverkehr ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. „Bis auf weiteres ist und bleibt es der Mensch, der durch sein Verhalten den wesentlichen Beitrag zur Sicherheit im Straßenverkehr leistet.“

Der DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2023 „Technik und Mensch“ steht online unter www.dekra-roadsafety.com zum Download zur Verfügung. Dort finden sich auch sämtliche Vorgänger-Reports inklusive weitergehender Inhalte, etwa in Form von Bewegtbildern oder interaktiven Grafiken.

 

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